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Emanzipation der Bürokratie

 

 

Vorbemerkung

Wenn von Emanzipation die Rede ist, wird dies meistens nicht im Zusammenhang mit dem Thema Bürokratie gebraucht. In diesem Fall wird der Begriff zu einseitig, mehr im Sinne einer Gleichstellung der Geschlechter, gedeutet.

Laut Duden hat der Begriff eine viel weitergehende, und zwar grundsätzlichere, Bedeutung, nämlich die Befreiung vom Zustand der Abhängigkeit.

Die folgenden Thesen sollen darstellen, welche Abhängigkeit(en) der Bürokratie zugeordnet werden können und wie diese eingeschränkt bzw. überwunden werden können.

Bürokratie

Was Bürokratie bedeutet wird in den Thesen zur Bürokratie versucht ausführlich zu beschreiben.

Abhängigkeit

Die Abhängigkeit ist generell gekennzeichnet durch Bedingungen und Bindungen (vgl. Kirk, Wolfgang: Abhängigkeitsverhältnisse kompakt)

Abhängigkeit (A) = Bedingungen (Be) + Bindungen (Bi)

Bedingungen

Für die Bedingungen von Bürokratie sind deshalb folgende Merkmale zu untersuchen:

Forderung

Die eigentliche Hauptaufgabe der Bürokratie ist wohl, das Leben in und mit der Gesellschaft so einfach wie möglich und doch so zielgerichtet wie nötig zu organisieren.

Unter Eintritt eines Ereignis (E) lassen sich Forderungen und Voraussetzungen zusammenfassen, bei deren Erfüllung oder Verwirklichung, ein Zustand von A (Ausgangszustand) nach Z (Zielzustand) verändert wird.

Der Veränderungsprozess ist also gekennzeichnet durch: 1. Ausgangszustand (A), 2. Eintritt des Ereignisses (E) und 3. Zielzustand (Z).

Voraussetzung

Um dieses Ziel zu erreichen, werden - auch aktuell - die Hilfsmittel Normen und Technikunterstützung eingesetzt.

Das bedeutet, dass gerade auch die moderne Gesellschaft regelgerechtes Verhalten benötigt und die technischen Hilfsmittel möglichst im sozialen Kontext für sich nutzbar macht.

Beispiel

A = Bürokratie

E = Digitalisierung

Z = Entbürokratisierung durch digitale Verwaltung

Gegebenheit

Es ist dem gegenüber anerkannt, dass die moderne Gesellschaft unter einer Über-Reglementierung und ggf. fragwürdigem Technikeinsatz leiden kann.

Die Absolutierung von Normverhalten und Techniknutzung führt zu Abhängigkeiten: 1. Die Ausrichtung des eigenen Verhaltens auf sogenannte soziale Normen und 2. auf die fast kritiklose Techniknutzung.

Bindungen

Bindungen sind gekennzeichnet durch: Beziehung, Verbundenheit und Verpflichtung.

Beziehung

Das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis regelt die enge Beziehung der in das Beamtenverhältnis berufenen Personen zum Dienstherrn.

Die Beziehung ist gekennzeichnet durch die Einschränkung der Privatautonomie auf der einen Seite wie Streikverbot, Neutralität, Wahrheitspflicht, Gehorsamspfliicht, Kein Aushandeln der Arbeitsbedingungen wie Arbeitsort, Tätigkeit, Besoldung, Versorgung und Beihilfe im Krankheitsfall.

Demgegenüber steht das Fürsorge- sowie das Alimentationsprinzip, die der Dienstherr zu beachten hat.

Verbundenheit

Das Beamtenverhältnis zeichnet sich darüber hinaus dadurch aus, das die Verbundenheit mit den dienstlichen Gegebenheiten durch die Hingabe an den Beruf in besonderer Weise ausgedrückt werden soll: Beamtinnen und Beamte haben sich mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen (§ 34 Abs. 1 S. 1 BeamtStG).

Verpflichtung

Eine allgemeine Verpflichtung ist in § 34 Abs. 1 S. 2 BeamtStG ausgedrückt:

Sie haben die übertragenen Aufgaben uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen. Ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes muss der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordern.

Situation

Die Bürokratie in der deutschen öffentlichen Verwaltung ist durch das ausgestaltete öffentlich-rechtiche Dienstverhältnis ganz besonders gekennzeichnet:

1. Dienstherr

- Hierarchieprinzip

- ausgeprägtes Herrschaftsprinzip

- starke Bindung an den Dienstherrn

- Fürsorgeprinzip

2. Personal

- Alimentationsprinzip

- Beschäftigungspflicht

- eingeschränkte Privatautonomie

Kritik

Von Menschen gemachte Systeme, wie beispielsweise das rechtliche Konstrukt des deutschen Beamtenverhältnisses, unterliegen wie andere Systeme auch dem gesellschaftlichen Veränderungsprozess in der jeweiligen geschichtlichen Realität (gesellschaftlicher Wandel). Die logische und damit auch rechtliche Weiterentwicklung, z.B. des Dienstrechts, aber auch der technische Wandel sind nur schwer in dieses rechtliche Konstrukt einzufügen.

Immer mehr Einzelvorschriften als ergänzende beamtenrechtliche Bestimmungen zeigen dies in drastischer Weise (Erziehungsgeldgesetz, Mutterschutzverordnung).

An diesem funktionalen Beispiel zeigt sich eine Überbeanspruchung und Ausuferung des Rechtssystems klar und deutlich.

Deshalb kann in diesem Teilbereich auch geschlussfolgert werden:

Thesen

  1. Bürokratie fängt im Kopf an. Was einmal angedacht war, muss immer wieder überdacht und geändert werden.

  2. Hochentwickelte moderne Gesellschaften tun sich mit Veränderungsprozessen schwer, weil der Entwicklungsgrad durchaus als komplexes Problem in diesem Zusammenhang aufgefasst werden kann und sollte.

Inwieweit diese beiden Thesen sozialisiert, also verallgemeinert werden können, bleibt einer Bestandsaufnahme in den Teilgesellschaften Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft vorbehalten.

Ausblick

Die Bürokratie in der Ausgestaltung der öffentlichen Verwaltung in Deutschland ist in besonderem Maße abhängig von dem

- politischen System (Zielvorgabe)

- Rechtssystem (Vorrang, Vorbehalt des Gesetzes, Dienstrecht)

- sozialen System (gesellschaftlicher Wandel)

- technischen System (Exekutivfunktion, Dienstleistungsfunktion).

Andere Teilbereiche der Gesellschaft sind in diesen Punkten ebenfals abhängig, wenn auch nicht in einer vergleichbaren starken und stringenten Ausprägung der Bindung.

Die Annäherung der Systeme lässt vermuten, dass über das Entstehen von Bürokratie und der Notwendigkeit zur fortwährenden Entbürokratisierung (nachhaltige Entbürokratisierung) nicht nur akademisch gestritten werden kann, sondern vom prinzipiellen Verständnis her übergreifend pragmatische Lösungen entwickelt werden können und müssen (Servicegedanke).

Dazu ist ein Verständnis darüber notwendig, dass in allen Teilbereichen der Gesellschaft ein bürokratisches Verständnis vorhanden ist und notwendigerweise überprüft werden muss.

These

Die Verpflichtung, den Aufwand für den jeweils Anderen richtig einzuschätzen und nicht unnötig zu beanspruchen (Wege, Zeit, Kosten), ist nicht nur eine Verpflichtung der öffentlichen Verwaltung, sondern von allen Teilgesellschaften.

Das proaktive Vertreten dieser These bedeutet auch, dass sich die staatliche Bürokratie emanzipieren kann, beispielsweise durch Abbau von Rechtsvorschriften, Wahrung der Neutralität und Besinnung auf die eigenen Fähigkeiten (Werte, Kompetenzen).

Mindmap

Emanzipation derBürokratie1. ZweckOrganisiertessoziales System2. AbhängigkeitBedingungenForderungVoraussetzungGegebenheitBindungenBeziehungVerbundenheitVerpflichtung3. SituationDienstherrHierarchieprinzipAusgrpägte HerrschaftStarke BindungFürsorgeprinzipPersonalAlimentationsprinzipBeschäftigungspflichtEingeschränktePrivatautonomie4. KritikAnnäherungder SystemeBürokratieabbauVorstellungen

 

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Wolfgang Kirk

 

Veröffentlicht: 2022-07-07 aktualisiert: 2024-02-04, 17:45 Uhr