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Medienherrschaft oder Herrschaft der Mittelmäßigkeit

 

 

 

Vorbemerkung

Bevorzugt wird auch heute meistens die Herrschaft im Büro kritisch betrachtet, also die Bürokratie. In der Welt der Kommunikationsgesellschaft erscheint dies jedoch zu kurz gegriffen. Denn die beiden anderen Teilbereiche der Gesellschaft im Sinne des Staatsrechts, also die Politik und die Wirtschaft, bleiben mehr oder weniger außen vor.

So entsteht zum Beispiel der Eindruck. die legale Herrschaft im Büro im Sinne von Max Weber wäre vornehmlich in der staatlichen Verwaltung stark vertreten.
Das ist sicherlich ein Wahrnehmungsfehler, der jedoch von den Vertretern dieser beiden gesellschaftlichen Bereiche durchaus wohlwollend benutzt wird, lassen sich damit eigene Fehler verdecken oder gar nicht erst öffentlich diskutieren.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Hier geht es nicht um politik- oder wirtschaftsferne Schelte, sondern um eine intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Thema.

Betrachten wir deshalb genauer, was unter dem Begriff der Mediokratie verstanden wird.

Begriff Mediokratie

Der Begriff ist nicht einheitlich bestimmt, sondern wird in zwei unterschiedlichen Gebieten benutzt: in poltikwissenschaftlicher und soziologischer Beschreibung.

Politikwissenschaft

dt. manchmal: Medienherrschaft; verwandte Konzepte: Telekratie, Videokratie

"Begriff der Politikwissenschaft, wonach politische Entscheidungen und Diskussionen sowie die politische Kommunikation in modernen Demokratien nicht mehr primär von den politischen Parteien, sondern zunehmend von den Interessen der Massenmedien, jedoch ebenso von den Einflussmöglichkeiten von Politikern auf diese geprägt werden. Mediokratie bedeutet nach Thomas Meyer, der das Modell populär machte, über den Begriff der Mediendemokratie hinaus nicht nur didaktisch den Wegfall des Demos und damit vor allem die Entmachtung des eigentlichen Souveräns, des Staatsbürgers. Dieser beobachte nur noch die politische Debatte in den Medien, ohne selbst aktiv einzugreifen, zum Beispiel bei Talkshows. So seien es die Medien, welche über Artikulation und Selektion ihrer Interessen entschieden. Mit dem Bedeutungsverlust der Parteien schwinde die Bedeutung des Staatsbürgers. Die eigentliche Form der Beteiligungsdemokratie, so Meyer, werde somit zu einer angeblichen Zuschauerdemokratie. Die These der Mediokratie ist Teil einer radikalen Medienkritik, weil sie alle Formen der basisdemokratischen Beteiligung von Bürgern in Abrede stellt – die Medien, insbesondere die kommerziell geführten Medienveranstalter, geben die Meinung der Geldgeber, also der Werbekunden wieder, nicht die der Zuschauer."

Literatur: Meyer, Thomas: Mediokratie. Die Kolonisierung der Politik durch das Mediensystem. Frankfurt: Suhrkamp 2001.

URL.: https://filmlexikon.uni-kiel.de/doku.php/m:mediokratie-8711

Soziologie

"Mit dem von der soziologischen Eliteforschung entwickelten Begriff Mediokratie, abgeleitet von lateinisch mediocris ‚mittelmäßig‘ und altgriechisch κρατεινkratein, deutsch ‚herrschen‘, beschreiben Sozialwissenschaftler eine hierarchische Situation, in der eher mittelmäßig begabte Menschen die entscheidenden Schaltstellen einer Gesellschaft besetzt halten und ihre Macht dazu nutzen, um höher begabten Konkurrenten den Aufstieg zu verwehren. Von Bedeutung ist der Begriff vor allem in Studien zur herrschenden Klasse in Politik und Wirtschaft."

 Quelle: URL.: https://dewiki.de/Lexikon/Mediokratie_(Herrschaft_der_Mittelm%C3%A4%C3%9Figkeit)

Medienherrschaft

Die Macht der Medien wird insofern übertrieben dargestellt, weil wir uns zumindest theoretisch einer unzulässigen Beeinflussung entziehen können, in dem nur allgemein als seriös anerkannte Quellen genutzt werden.

Durch die technische Entwicklung werden zunehmend auch Privatpersonen zu journalistisch arbeitenden Menschen (Ortsreporter, YouTuber, Blogger, Vlogger). Es entsteht also eine Gegenbewegung zu den etablierten Medien und den politisch-orientierten Mediengestaltern. Man bringt sich ein, und das ist auch gut so (Eigene private Medienkompetenz).

Allerdings wird hiermit nicht entkräftet, dass

1. die Mediengestalter zunehmend die politische Aufgabe auch für sich in Anspruch nehmen (Überheblichkeit),

2. die Teilgesellschaften Politik und Wirtschaft ihrerseits die Mediengestaltung in Eigenregie übernehmen, und zwar zur besseren und gezielteren Selbstdarstellung, nicht wirklich zur guten Information (Spezielle Medienkompetenz),

3. durch die wechselseitige Übernahme von Aufgaben/Themen eben keine Trennschärfe zwischen Journalismus/Medien und Aufgabengebiet de facto mehr vorhanden ist (Austauschbarkeit).

4. es deshalb immer schwieriger wird, seriöse Berichterstattung zu erkennen (Glaubwürdigkeit).

Wer herrscht bzw. beherrscht wird, lässt sich nicht wirklich realistisch treffsicher kennzeichnen. Die etablierten Print-Medien kämpfen ums Überleben. Die Online-Medien müssen gegen Defizite bei der Glaubwürdigkeit wirken.

Die Kritik, dass zu viel Politik nur noch als Info-Tainment konsumiert werden anstelle eigener politischer Teilhabe ist darüber hinaus aber berechtigt. Hier ist die Stärkung der eDemokratie dringend notwendig, um am politischen Meinungsbildungsprozess teilnehmen zu können.

Gebraucht werden elektronische Plattformen zur Realisierung. Ob dies jedoch von den politischen Parteien auf der Agenda ganz oben als Tagesordnungspunkt eingestellt wird, bleibt aktuell weiter abzuwarten.

Herrschaft der Mittelmäßigen

Eine wesentliche Behauptung im Rahmen einer Betrachtung der Eliten auch in Deutschland ist, wir würden von mittelmäßigen Personen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft beherrscht. Dadurch wären die Bemühungen zur Verbesserung der Situation in den Teilgebieten unter anderem geprägt durch eine einseitige Stärkung der Machthabenden bei gleichzeitiger Schwächung der Position der weniger Privilegierten.

So beispielsweise die Begründung der Kritik am Neoliberalismus.

Zu aller erst bleibt zu berücksichtigen, dass zwei Merkmale nicht gänzlich zufrieden stellend beantwortet werden können:

1. Wie lässt sich Mittelmäßigkeit überhaupt ermitteln?

2. Wer hat die Deutungshoheit über Mittelmäßigkeit?

Damit man diese Schwächen einigermaßen ausgleichen kann, versuchen angesehene Soziologen, ihre Forschungsergebnisse über Macht bzw. Ohnmacht mit empirischen Untersuchungen zu fundieren.

Damit wird jedoch gerade nicht die in Deutschland vorherrschende Ablehnung von Eliten und einer Elitebildung überwunden.

In der Diskussion über Mittelmäßigkeit ist deshalb kritische Distanz notwendig (Kritik an der Kritik):

- Der Begriff Mittelmäßigkeit ist unscharf und lässt sich nicht hinreichend genau beschreiben. Vgl. ergänzend Kirk, Wolfgang: Dilettant, Fachmann oder Perfiktionist, urn:nbn🇩🇪hbz:061:3-77770.

- Wer Mittelmäßigkeit kritisiert, kann deshalb nicht die Inhalte alleine bestimmen (Meinungsdiktatur),

- Mit der Kritik kann leicht der Eindruck einer Überheblichkeit entstehen, wenn der Kritiker es nicht vermeidet, alles besser umsetzen zu können,

- Letztlich gibt es ein gesellschaftliches Akzeptanzproblem über Eliten und Elitebildung in Deutschland.

Dennoch: Es bleibt notwendig, die Ungleichheit zwischen Macht und Ohnmacht, Arm und Reich, etc. zu untersuchen, damit die so genannte Schere nicht zu weit auseinander geht. Würde dies nämlich mit ja beantwortet, wären die Folgen vermutlich politische und wirtschaftliche Instabilität, weil der soziale Frieden gestört wäre.

Also bleibt es eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, korrumptives Verhalten wie Günstlings- oder Vetternwirtschaft, offen zu untersuchen und zu bekämpfen.

Darüber hinaus ist zu bemerken, dass Manipulationen heute meist sehr gut getarnt oder verdeckt erfolgen, weil dahinter oftmals eine große Energie verbunden mit Spezialwissen steckt. Das bedeutet, dass hier eigentlich von Intelligenz und eben nicht von Inkompetenz zu sprechen wäre. Denn es ist auch für Fachleute sehr schwierig, solche Manipulationen zu erkennen.

Kritische Würdigung

Die Literatur über Mediokratie ist kritisch betrachtet zuweilen außerordentlich populistisch und die Buchtitel sind meist reißerisch als wirklich informativ, um eben direkt Aufmerksamkeit zu erhalten.

Inhaltlich haben alle mehr oder weniger den gleichen Kanon:

- Es müsse sofort etwas geschehen

- Es gehe nur mit tiefen Einschnitten in die bestehenden Systeme

- Nur die eigenen Vorstellungen seien sozusagen die rettenden Ideen.

Das erscheint nicht wirklich sinnvoll, weil

Das lässt zumindest logisch den Schluss zu, eine neoliberale Wirtschaftspolitik, mit der sich der Staat aus vielem raushält bzw. zurückzieht, führt letztlich zu noch mehr staatlichen Eingriffen, sozusagen fast zwangsläufig.

Die mathematische Gleichung, wonach -(-a) = +a ergibt, gilt in der realen Welt so nicht. Der Rückzug des Staates (-Staat) multipliziert mit Verringung sozialer Strukturen (-) führt eben zu mehr staatlicher Steuerung und eben nicht zur gewünschten Stärkung des Einzelnen:
-(-Staat) = +Staat.

Das lässt weiterhin den Schluss zu, dass eine Diskussion über Mediokratie mit den Ausprägungen Medienherrschaft oder Herrschaft der Mittelmäßigen radikale Tendenzen verstärken: Die Systemveränderungen durch radikale Eingriffe verstärken wiederum radikale Eingriffe und so weiter. Beispiele sind: Verschwörungstheorien, Begriff Lügenpresse.

Auch die Tatsache, dass eine gewisse Radikalität gerade durch intellektuell geschulte Menschen vertreten wird (z.B. Akademiker), führt zu folgenden Überlegungen:

- es gibt keine Herrschaft der Medien oder der Mittelmäßigen im eigentlichen Sinn,

- weil die Eingriffe in die sozialen Systeme nicht mehr kausal zugeordnet werden können (Gesellschaft, Journalismus, Einzelner),

- sondern offen oder verdeckt jedenfalls aber mit einer gewissen geschulten Intelligenz von Allen vertreten werden (können).

Zusammenfassung

Das bedeutet, dass die kritisierte Herrschaft abhängig ist von der Fähigkeit, weniger intelligentes Denken und Handeln in der Demokratie an den/die Bürger:in zu bringen.

Wer dies ändern will, muss intelligente Lösungen präsentieren und vertreten. Das setzt nicht zwangsläufig eine hohe eigene Intelligenz voraus, sondern die Fähigkeit, intelligente Lösungen zu erkennen und zu fördern.

Erfolgreich wird das jedoch nur sein, wenn intelligente Lösungen auch in einer Demokratie mehrheitsfähig sind. Und daran scheitern leider viele gute Lösungsvorschläge.

Herrschaft bedeutet demnach, intelligente Lösungen zu erkennen/fördern und die Fähigkeit zur politischen Durchsetzung:

Herrschaft = intelligente Lösung + Durchsetzungsfähigkeit

Der Begriff Mediokratie sollte daher mit Vorsicht benutzt werden, d.h. mit kritisch distanzierter Haltung. Menschen sind dann nicht beherrschbar, wenn sie ihren Konsum kontrollieren.

Literaturbeispiele

Hinweis: Die aufgeführten Monografien sind Beispiele für eine zugespitzte Thematisierung, teilweise mit kühnen Behauptungen im Titel

Miegel, Meinhard: Die deformierte Gesellschaft - Wie die Deutschen ihre Wirklichkeit verdrängen, Propyläen Verlage, München 2002

Meyer, Thomas: Mediokratie - Die Kolonisierung der Politik durch die Medien, Suhrkamp Taschenbuch 1204, Frankfurt/Main 2001

Müller, Albrecht: Machtwahn - Wie eine mittelmäßige Führungselite uns zugrunde richtet, Droemer Verlag, München 2006

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Wolfgang Kirk

 

Veröffentlicht: 2022-09-23 aktualisiert: 2024-09-07, 08:00 Uhr