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Das Kiss-Prinzip - Wunsch oder Wirklichkeit?

 

 

Vorbemerkung

So stellt man sich das vor: alles ist simpel und überschaubar. Schaut man sich die Realität an, kann man an der soeben gemachten Aussage zweifeln: überladene Internetseiten, umfangreiche Texte, versteckte Details.

Dem Normalbürger wird regelmäßig suggeriert, er solle sich doch an die Einfachheit und Genügsamkeit halten. Die Profis versprechen zwar auch, diese Prinzipien zu beachten, jedoch im Detail verstoßen sie vielfach dagegen: Das Verhältnis von Raum-Wege-Zeit wird vielfach verändert. Die Folge sind einmal bürokratische Verhältnisse, ein andermal überzogene eigene Präferenzen.

Beispielhaft sind hier aufzuführen: 1. die AGB werden immer umfangreicher, 2. die Gesetze verlieren sich in Details, 3. Verfahren sind noch immer nicht digitalisiert.

Das KISS-Prinzip

Keep it short and simpel, auf deutsch Halte es kurz und knapp, kann neben der Bedeutung in den verschiedensten Arbeitsbereichen auch als Lebensmotto verstanden werden.

Das Prinzip kann beispielsweise bedeuten:

- nur wenige Fremdwörter benutzen

- Fachsprache nur, wenn notwendig

- Textumfang begrenzen

- Verfahren vereinfachen, z.B. durch digitale Angebote, Checkliste

Es bedeutet nicht:

- weniger ist immer mehr

- Komplexität kann (immer) einfach dargestellt oder gelöst werden

- der einfache Weg ist (immer) möglich.

Reduktion von Komplexität

Das Prinzip umfasst alle Handlungen, um Komplexität zu reduzieren.

Mehrdeutigkeit

Die Abkürzung KISS wird mehrfach gedeutet, z.B.

- Keep it smart and simple

- Kommunikation, Integration, Selbstmanagement, Strategie

Kritik

Schwierige Sachverhalte mit vereinfachten Modellen zu lösen setzt grundsätzlich voraus, dass dies überhaupt möglich wäre. Das insoweit rationelle Vorgehen ist aber gerade nicht absolut, also bei jedem komplexen Sachverhalt möglich. Außerdem ist die Lösung von den Maßstäben abhängig, die man berücksichtigt.

Solche verkürzenden Methoden können also auch ein falsches Signal senden.

Der Verspechen-Trick

Das kommerzielle und politische Marketing vermittelt in einigen Zusammenhängen den Eindruck, das Bescheidenheit und Genügsamkeit auf der einen Seite sowie Anspruch und Erfolg auf der anderen Seite in Realität Gegensatzpaare seien. Das Versprechen, das eigene Produkt und die eigene politische Vorstellung würden den Gegensatz aufheben, ist nicht eindeutig beweisbar.

Der Ethik-Trick

Eine Selbstverpflichtungserklärung oder eigenes Siegel erwecken den Eindruck, das Maßstäbe beachtet und eingehalten werden. Nicht immer verbergen sich dahinter objektive Maßstäbe, die nach anerkannten (wissenschaftlichen) Methoden ermittelt sind.

Der Logik-Trick

Wenn ein logisches Denken zu einem Allgemeinprinzip erhoben wird, also quasi ein Denkgesetz, vergisst man leicht, dass es auch ein anderes logisches Denken gibt. Die Konkurrenz des sogenannten wirtschaftlichen Prinzips mit anderen Prinzipien besteht in der Tatsache, dass es Grenzen der wirtschaftlichen Betätigung geben kann bzw. muss.

Der Produktions-Trick

Der kommerzielle und politische Produktionsprozess erwecken den Eindruck, dass die Herstellung von Wirtschafts- und Gesellschaftsgütern in der vorgegebenen Art und Weise gerechtfertigt sei, denn hier wäre der Staat und die Wirtschaft ja getrennt (Kapitalismus): die staatlichen Gesetze und deren Ausführung sind gerecht und richtig, die Wirtschaftsgüter rechtfertigen die an sie gestellten Bedingungen wie ökonomisch, ökologisch und gesellschaftlich vertretbar. Das hat jedoch zur Folge, dass juristisches und wirtschaftliches Denken zum bestimmenden Denken und damit zum Herrschaftsdenken wird.

Das Paradoxon

Viele Prinzipien geraten bei absoluter Anwendung in der Folge zum genauen Gegenteil des Prinzips:

- politische Toleranz kann Gewalt bis hin zur Tyrannei fördern, wenn Intoleranz nicht bekämpft wird,

- die Einschränkung der individuellen Freiheit ist zur Herstellung derselben erforderlich: Strafrecht, Gesellschaftsrecht (Verfassung)

Einfachheit

Eine weitere Kritik gibt es bei der Bestimmung der Einfachheit: Texte ohne viele Fremdwörter und Verzicht auf eine Fachsprache sind nicht vergleichbar mit der Notwendigkeit, in der Demokratie unterschiedliche Ansichten zu berücksichtigen. Also was im Einzelfall reduziert werden kann oder soll, ist nicht zwangsläufig einfach zu bestimmen.

Wenn ein Prinzip zum Denkgesetz oder Handlungsmuster erklärt wird, ist dies vielleicht zu einfach.

Zusammenfassung

Das KISS-Prinzip klingt auf den ersten Eindruck durchaus logisch. Betrachtet man die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereiche genauer, lässt sich die relative Wirkungslosigkeit durchaus erkennen.

Darüber hinaus ist die Mehrdeutigkeit gewiss auch problematisch, weil sie vorgibt, dass in der Einfachheit der Schlüssel zur Lösung liegt. Gerade dies hängt jedoch von dem zu lösenden (komplexen) Problem ab. Wenn man sich also darauf verlässt, unterliegt man einem kognitiven Fehler.

Als generelle Aussage - sozusagen als Paradigma - Komplexität zu reduzieren, ist das Prinzip, wie andere auch, durchaus aussagefähig. Als Denkgesetz oder Handlungsmuster bzw. als Lebensmotto wird das Prinzip jedoch überhöht, denn die Mehrdeutigkeit ist selbst durchaus als kritisch zu sehen.

Die Wirkung des KISS-Prinzip liegt sicherlich auch in dem Wunsch, die komplexe Welt möglichst verständlich zu erklären. Insoweit wäre es hilfreich, wenn die menschliche Kommunikation so weit wie möglich einfach gestaltet wird.

 

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© Wolfgang Kirk

 

Stand: 2023-05-29,  15:00 Uhr